Graue Energie

Jedes Jahr rechne ich mir für die Generalversammlung das Durchschnittsalter der Teilnehmer des Montagstrainings aus. Mein Betrag zur Sektion „Unnützes Wissen“, gleichwohl spannend. Inzwischen sind wir im Schnitt gut über 50 Jahre. Ich lese in der Zahl die Spuren eines harten Kerns, die sich bis in die ehemalige Kampfmannschaft des Clubs zurückverfolgen lassen. Was hält uns nun schon so lange zusammen? Der Schweiss rinnt – wofür?

Ein Judotraining bis in fortgeschrittene Jahre kann nur mit den Dojoregeln funktionieren. Natürlich gelten die immer und für jeden. Wir aber sind auf einen rücksichtsvollen Umgang miteinander wirklich angewiesen. Verletzungen wiegen zusehends schwerer und wir müssen sie tunlichst vermeiden –  gerade im Randori. Das sind unsere Siege. Der Respekt gegenüber dem Sensej hat sich zu einem gegenseitigen Respekt weiterentwickelt, gewürzt freilich mit einer Prise Humor. Das Lachen kommt nicht zu kurz.

Unser Mühen um technische Weiterentwicklung zeitigt nicht mehr immer Erfolge. Die physische Konstitution ist aber, bedenkt man das Alter, gut. Kritisch sind längere Pausen. Die Form baut sich schnell ab und ist nur mit Mühe wiederzuerlangen. Doch wenn sich ein Fremder auf unserer Matte einfindet, geben wir alles und wachsen regelmässig über uns hinaus – mit fatalen Folgen. Wiedereinsteiger und Neulinge sind verschreckt und der Altersdurchschnitt bleibt hoch.

Kampfsport bedeutet an Grenzen zu gehen. Die Schmerzgrenze und die Grenzen, die uns der Bewegungsapparat setzt. Jedoch erhöhen die Belastungen die Stabilität des Halteapparates und dessen Unterstützung durch die Muskulatur. Stürze, vor allem im ganz normalen Alltag, sind die häufigste Unfallursache und leiten im Alter häufig schwere Krisen ein. Judo bedeutet eine aktive Auseinandersetzung mit diesem Problem. Wir üben das Fallen jedes Mal und sind damit vielleicht parat für das eine Mal. Dieses Training reduziert nachweislich die Schmerzempfindlichkeit. Auch das kann mal nützlich sein. Mir sind so ein paar gute Extralebensjahre geschenkt, auch wenn sie noch statistisch und flüchtig sind.

Grenzen setzt uns auch unser Geist. An der Universität Regensburg wurde eine Reihe von Untersuchungen mit Senioren durchgeführt, die die Wirkung von Kampfsporttraining auf die körperliche und mentale Verfassung beleuchten sollten. Die Ergebnisse sind überaus erfreulich. Merkfähigkeit und Symptome altersbedingter Depressionen haben sich im Untersuchungszeitraum deutlich verbessert und zahlreiche Probanden haben das Training nach dem Ende der Studie fortgesetzt. Alles ältere Damen. Eine höhere Lebenserwartung scheint auch Kopfsache zu sein. Die Ergebnisse waren so eindeutig, dass man fast die dringende Notwendigkeit des Trainings ableiten könnte. Natürlich geht das nicht, aber auch eine Gruppe älterer Herren vom JJJC Aarau scheint jeden Montagabend fest an die heilsame Wirkung von Würfen und Festhaltern zu glauben.

Was wünscht man sich zum 76. Geburtstag? Ein schönes Fest mit Freunden vielleicht. Ein paar warme Klamotten. Aber natürlich vor allem Gesundheit. Judogis werden seltener verlangt. Wir haben unserem Methusalem einfach einen geschenkt und auf die Feststellung, dass der jetzt aber reichen müsste, blieb das erwartete Ja aus. Und so scheint unser Fortbestand gesichert.

Und für alle, die noch zweifeln: So sieht Judo mit 90 aus: http://jctouraine.fr – erstrebenswert, oder?

 

Franz

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