Alltag einer Kampfsportfamilie – Schwesternduell

So viele Kinder! Sie wollen alle beim clubinternen Judoturnier mitmachen. Als sie sich zum Grüssen aufstellen, haben gar nicht alle auf der Länge Platz und müssen um die Kurve bis zum Vereinslogo stehen. Da bereits alle gewogen sind, können nach dem Aufwärmen die Kämpfe beginnen. Entsetzt realisieren Miriam* und Julie*, dass Buben und Mädchen gemischt kämpfen.

„Das macht ihr im Training doch auch“, sage ich.

„Ja schon“, kommt es gedehnt von Miriam.

„Dann sollte das kein Problem sein.“

„Eigentlich nicht.“

Damit ist das erste Problem abgewendet. Das zweite lässt allerdings nicht lange auf sich warten. Miriam und Julie werden aufgerufen. Entsetzt realisiert Julie, mit Miriam in der gleichen Gruppe zu sein.

„Ich verliere eh und werde letzte“, mault sie.

Oh je … Ich hatte gehofft, diese Situation werde nicht eintreffen.

Nachdem beide ihre ersten Kämpfe gewonnen haben, kommt es zum unausweichlichen Geschwisterduell. Nach dem „Hajime“ stürzen sie aufeinander und krallen sich am anderen fest. Bei Hyänen könnte es nicht schlimmer sein. Sie schenken sich nichts. Miriam, die zwei Jahre älter als Julie ist und somit zwei Jahre mehr Judoerfahrung hat, greift immer wieder an, aber Julie setzt sich tapfer zur Wehr. Die Mienen meiner Mädchen sind verbissen.

Dann passiert das Unausweichliche – rums. Im Fallen packt Miriam eine Spur fester – sofern das überhaupt möglich ist – zu.  Noch bevor sie auf dem Boden aufschlagen, ist Julie in einem Festhalter gefangen, der der Bedeutung „Festhalten“ alle Ehre macht. Ippon!

Miriam steht betont lässig auf, streicht das Judogi glatt und richtet den Gurt. Eine Katze, die gerade eine Maus verspeist hat, könnte nicht zufriedener aussehen. Julie dagegen ist nur ein Häufchen Elend. Nach dem Abgrüssen kommt sie schluchzend auf mich zu gerannt.

„Ich hab’s gewusst! Blöde Miriam! Blödes Judo! Ich will nie mehr kämpfen!“

Miriam schlendert betont lässig auf uns zu. Das Grinsen wird immer breiter, je näher sie kommt. Ich stecke in der Zwickmühle einer Mutter. Auf der einen Seite freue ich mich riesig, weil Miriam alle Kämpfe gewonnen hat, auf der anderen kann ich Julies Frust gut verstehen.

Miriam verschwindet zur Kuchentheke und bringt Zitronenkuchen, Julies Lieblingskuchen, mit. Julie beisst ein grosses Stück ab, aber die Tränen fliessen immer noch. Miriam bietet ihr von den Chips an. Scheinbar versucht sie sich in „Schadensbegrenzung“.

„Möchtest du meine Riesenchips?“, fragt sie. Die Freude, ihrer Schwester gezeigt zu haben, wer die Stärkere ist, kann sie dennoch nicht aus ihrer Stimme verbannen.

Julie antwortet nicht. Wenn Blicke töten könnten …

Bei der Siegerehrung ist der Frust zum Glück teilweise verflogen. Julie nimmt mit einem leichten Lächeln ihre Silbermedaille in Empfang und wechselt einige Worte mit Miriam, die stolz ihre Goldmedaille hochhält. Sie sprechen also wieder miteinander!

Das Kriegsbeil ist begraben – bis zum nächsten Mal

 

Ina

* Namen sind Pseudonyme

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